Die Brennweite in der Praxis

Auf den vorherigen Seiten habe ich erläutert, dass die Brennweite für den Bildöffnungswinkel verantwortlich ist. Über die Veränderung der Brennweite kann man nun entscheiden, ob man einen größeren Öffnungswinkel bevorzugt (Weitwinkel), wodurch ein größerer Ausschnitt der Umgebung abgebildet, einzelne Objekte Optisch aber auch verkleinert werden, oder ob man den Öffnungswinkel verkleinert, das Blickfeld so drastisch einschränkt, abgebildete Objekte aber deutlich vergrößert. Bei eventuellen Brennweitenangaben beziehe ich mich nachfolgend immer auf die Kleinbild–äquivalente Brennweite.

Weitwinkelbereich – kurze Brennweiten

Viele Menschen achten beim Kauf einer Kamera oft auf den Telebereich, also möglichst lange Brennweiten. Gerade bei Kompakt– oder Bridgekameras, also bei Systemen ohne wechselbare Komponenten ist eine lange Brennweite neben der Auflösung (Megapixel) ein wichtiger Faktor für das Marketing. Natürlich ist es reizvoll, ein weit entferntes Objekt optisch schön nah heranholen zu können, aber in der Praxis wird diese Funktion meist weitaus weniger oft gebraucht, als eine schön kurze Brennweite. Es lohnt sich auf jeden Fall, sich vor dem Kauf zu fragen, welche Flexibilität man bei der Brennweite wirktlich benötigt.

Praxisbeispiel: Man feiert eine Party und möchte die Stimmung auf Bildern festhalten. Man schießt einige Portraits von den Feiernden, aber man will auch den Raum in dem gefeiert wird als Ganzes festhalten. Man stellt die kürzeste Brennweite ein, hebt die Kamera und sieht nur einen Teil des Raumes. Man vergewissert sich, dass man noch ein Stück zurückgehen kann. Man weicht zurück, um mehr von der Raumwirkung auf das Bild zu bekommen, aber bevor man den gewünschten Ausschnitt im Sucher hat, stößt man an der nächsten Wand an. Egal wie man sich aufstellt, der Raum wird in seiner Gesamtheit einfach nicht erfasst.

Genau das ist ein Fall, in dem eine kürzere Brennweite sehr hilfreich wäre. Dieser Fall tritt in der Praxis in der Regel häufiger ein, als man glaubt. Es sind zwar keine Bilder einer Feier, aber die folgenden Bilder zeigen anschaulich den Unterschied zwischen 36mm und 28mm Brennweite (Bildschnitt und –qualität sollen hier nicht Diskussionsgrundlage sein. Es geht nur um einen Brennweitenvergleich):

Vergleich verschiedener Brennweiten

Es mag wenig erscheinen, aber dieses bisschen Platzgewinn auf dem Foto kann oft das Bild retten. Persönlich würde ich beim Kamerakauf deswegen dazu raten, zuerst auf die kürzeste Brennweite, und dann auf den maximalen Telebereich zu achten. Als kürzeste Brennweite empfehle ich 28mm oder weniger, viele Kameras bieten heute schon Brennweiten ab 24mm – damit ist man schon sehr flexibel.

Der Telebereich – lange Brennweiten

OK – bei allen Lobliedern die ich nun auf schön kurze Brennweiten gesungen habe, muss ich natürlich gestehen, dass eine lange Brennweite eine feine Sache ist. Den Telebereich kann ich primär zu zweierlei Zwecken einsetzen.

Der Mond, aufgenommen von meinem Balkon aus, mit einer Brennweite von 640mm und anschließend beschnitten.

Heranholen weit entfernter Objekte
Weit ist hier ein ziemlich relativer Begriff. Ein Tier im Zoo, kann auf 20m Entfernung schon weit entfernt sein, wenn man davon eine schöne Portraitaufnahme machen mächte. Ein solcher Fall wird jedenfalls sehr viel öfter auftreten, als dass man einen 1km entfernten Kirchturm mal nah heranholen will. ein klassisches Beispiel ist jedoch – wie hier abgebildet – der Mond. Um die Mondoberfläche detailliert und hochwertig abbilden zu können, bedarf es neben einer unglaublich teuren Ausrüstung aber auch noch etliche anderer günstiger Faktoren (gute, klare Sicht, etc.). Mit verhältnismäßig einfacher Ausrüstung bekommt man aber durchaus schon ganz akzeptable "Portraits" unseres Trabanten hin. Dieses Mondbild habe ich von meinem Balkon aus mit einer Brennweite von 640mm geschossen und nachträglich noch beschnitten. Was hier zu sehen ist, ist also nur ein Ausschnitt des Originalbildes.

Aufnahme mit unscharfem Hintergrund durch offene Blende und lange Brennweite.

Verringern der Schärfentiefe?
Wie ich auf der Seite Schärfentiefe bereits angesprochen habe, kann ich neben der Blende auch die Brennweite einsetzen, um die Schärfentiefe meines Bildes scheinbar zu beeinflussen. »Scheinbar?« Ja – scheinbar! Rein physikalisch ändert eine andere Brennweite an der Schärfentiefe nichts. Ein Hintergrundobjekt, das 30m hinter meinem Fokuspunkt liegt, ist bei 100mm Brennweite eigentlich auch nicht unschärfer, als bei 28mm, wenn mit gleicher Blende fotografiert wird. Aber: der Öffnungswinkel bei 100mm ist natürlich ein völlig anderer, als bei 28mm. Entsprechend werden fotografierte Objekte bei längeren Brennweiten vergrößert und bei kürzeren Brennweiten verkleinert abgebildet. Dies betrifft auch nicht nur unser fotografiertes Hauptobjekt, also z.B. eine portraitierte Person, sondern ebenso den Hintergrund. Auf der Aufnahme mit 100mm Brennweite sehe ich also nur einen Auschnitt des Hintergrundes, der auch auf meinem 28mm–Bild zu sehen ist und zwar deutlich vergrößert. Und was passiert, wenn ich eine unscharfe Abbildung vergrößere? Sie wirkt noch unschärfer.

Daraus hat sich letztendlich die unter Hobbyfotografen verbreitete Regel abgeleitet, dass eine längere Brennweite ebenfalls eine Verringerung der Schärfentiefe bewirkt. Also noch einmal Klartext: Eine lange Brennweite in Kombination mit einer offenen Blende, liefert mir einen angenehm unscharfen Hintergrund, also ein schön freigestelltes Motiv. Eine längere Brennweite ist also durchaus nützlich, wenn ich z.B. Portraits vor unscharfem Hintergrund schießen möchte. Einen echten Einfluss auf die Schärfentiefe hat die Brennweite jedoch nicht. Typische Portraitobjektive haben meist Brennweiten zwischen 50 und 100mm, was bereits in den Telebereich fällt, also zu den längeren Brennweiten zählt. Je nach gewünschter Bildwirkung kann man diesen Bereich aber fast beliebig über– oder unterschreiten. Aber gerade wenn es um deutliche Hintergundunschärfe geht, bieten sich längere Brennweiten durchaus an.

Empfehlung: moderne Bridgekameras oder Systemkameras

Wer einen angenehm großen Brennweitenbereich haben möchte, ohne drei bis fünf Wechselobjektive mitschleppen zu müssen, dem seien moderne Bridgekameras empfohlen. Diese Geräte haben meist größere Bildsensoren als Kompaktkameras und weisen somit ein erträgliches Rauschverhalten auf. Außerdem decken sie in der Regel Brennweitenbereiche von 28 bis zu mehr als 500mm an Brennweite ab. Teilweise gibt es sogar schon Bridgekameras, deren Objektive zwischen 1.000 und 3.000mmm Brennweite schaffen. Solche Geräte gibt es von den meisten namenhaften Herstellern. Zu bedenken bleibt dennoch, dass solche Kameras immer einen gewissen Kompromiss darstellen. Die Sensoren von Bridgekameras sind nun einmal ziemlich klein und ein fest verbautes Objektiv, das sich sowohl auf 28mm als auch auf 1.000mm an Brennweite einstellen lässt, ist zwangsläufig kompromissbehaftet. Dafür erhält man All–In–One–Systeme, die sich problemlos in relativ kleinen Taschen mitführen lassen.

Wer sich jedoch nicht davor scheut, Geld für Wechselobjektive auszugeben, aber dennoch auf eine übermäßig große und schwere Fotoausrüstung verzichten möchte, dem seien Systemkameras empfohlen. Diese bieten mit ihren recht großen Sensoren oft eine ähnliche Qualität wie Spiegelreflexkameras, sind jedoch deutlich kompakter, da im Gehäuse kein Raum für den Klappspiegel einer D–SLR vorgehalten werden muss. Durch die Wechselobjektive ist man mit Systemkameras deutlich flexibler als mit Bridgekameras, gleichzeitig erzeugt solch eine Ausrüstung jedoch auch höhere Kosten und das Mitführen von drei bis vier Objektiven bedeutet auch hier: mehr Gepäck, wenngleich dieses kompakter ausfällt als bei D–SLR–Kameras.